Der Koalitionsvertrag: eine Absichtserklärung in einfacher, aber den Inhalten nicht angemessener Sprache!


Der Koalitionsvertrag ballert Hauptsatzsalven aus allen Rohren ab. “Wir machen ..”, “Wir tun …”, “Wir wollen ..”. Ein Hauptsatz jagt den nächsten. Einige Nebensätze mehr, und es hätte Raum gegeben, um über die politischen Vorhaben auch nachzudenken. Ein Essay über die Möglichkeiten des Scheiterns bei der Anwendung von Einfacher Sprache.


Verständlichkeit von Informationen und Einfache Sprache haben mit dem Koalitionsvertrag endlich auch Einzug in die Politik gehalten. Noch schöner: Der Koalitionsvertrag kommt fast ohne Nebensätze aus. Man könnte meinen, da habe jemand, der etwas von Einfacher Sprache versteht, Korrektur gelesen. Doch dabei ist etwas schiefgegangen. Denn verständlich wird ein Text nicht, wenn man einfach nur auf Nebensätze verzichtet. Verständlich wird ein Text, wenn er in einer dem Inhalt und der Verwendung angemessenen Sprache geschrieben wird.

Was eine angemessene Sprache sein könnte, ist nicht so einfach zu erklären wie Einfache oder Leichte Sprache. Denn für diese gibt es Regeln. Und das ist gut so. Denn wir benötigen eine klare Vorstellung davon, was Sprache kompliziert macht und wie es einfacher gehen kann. Doch wenn man unter Verständlichkeit nur versteht, was diese Regeln vorgeben, dann verliert der Anspruch auf Verständlichkeit in der politischen Auseinandersetzung und Kommunikation seine universelle Geltung. Ein Recht auf Verständlichkeit haben doch nicht nur diejenigen, deren sprachliche oder geistige Möglichkeiten eingeschränkt sind. Verständlichkeit muss als Grundrecht für alle betrachtet werden, nicht nur für Menschen, die mit komplexer Sprache nicht zurechtkommen. Verständlichkeit lässt sich eben nicht auf den Verzicht von Nebensätzen oder anderen formalen Vorgaben reduzieren.

Doch mit welchem Argument ließe sich für mehr Verständlichkeit auch außerhalb der Vorgaben für einfache Sprache kämpfen. Hier hilft die Einsicht, dass nicht nur den sprachlich Ungeübten und Benachteiligten, sondern grundsätzlich allen Menschen einfache Ausdrucksweisen helfen. Häufig wird gegen eine einfache Ausdrucksweise ins Feld geführt, dass Sachverhalte zu komplex seien. Doch damit traut man der Sprache weniger zu, als sie kann. Sprache ist nicht an die Komplexität politischer oder administrativer Sachverhalte gebunden. Sie ist ein Medium, das zwischen zwei verschiedenen Akteuren vermittelt: zwischen Politik und Individuum. Selbst wenn es mit zusätzlicher, mühsamer Übersetzungsarbeit verbunden ist: Sprache muss vermitteln, um unseren begrenzten Aufnahmekapazitäten entgegenzukommen. Begrenzte Kapazitäten zu haben, heißt nicht, zu doof zu sein. Es heißt nur, dass unnötiges sprachliches Geschwurbel das Verstehen erschwert. Und damit wären wir bei der Erklärung angelangt, was Angemessenheit in der Sprache bedeutet: Verzicht auf unnötiges Geschwurbel. Was unnötig ist, darüber kann die berühmte Weglassprobe eine zuverlässige Antwort geben. Aber hier hilft noch eine andere Prüfung: Wenn ein Mehr an Information nicht zu einem Mehr an Verständnis beiträgt oder das Verständnis und die Nutzung der Information sogar behindert, dann ist sie überflüssig.

Zurück zum Koalitionsvertrag: Wer nur sein politisches Wollen hervorheben möchte, braucht vermutlich auch keine Nebensätze. Denn Nebensätze sind ja nicht prinzipiell eine lästige Erfindung. Sie dienen der Vertiefung, stellen Verbindungen her, informieren über Arten und Weisen. Dass der Koalitionsvertrag dies zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht liefern kann, wäre eine nachvollziehbare Erklärung. Doch wahrscheinlicher ist, dass jemand mit der Einfache-Sprache-Sense die Syntax kurzgemäht hat. Leider ist das semantische Unkraut dabei stehen geblieben: Begriffe wie KMU und Open Data, Important Projects of Common European Interest, Gebäudedatenmodellierung und Tenure-Track-Programm treiben unerwünschte Blüten. Wer diese Wörter versteht, wäre auch mit dem einen oder anderen Nebensatz klargekommen. Die Autoren des Koalitionsvertrages hätten gut daran getan, Syntax und Wortwahl einander anzupassen. Das hätte nicht nur zu einer angemessenen und somit verständlichen Sprache geführt, sondern auch zu einem überzeugenderen Koalitionsvertrag.


Weiter
Weiter

Koalitionsvertrag fordert Einfache Sprache. Doch sie ist kein Ersatz für einfache Teilhabe!