Koalitionsvertrag fordert Einfache Sprache. Doch sie ist kein Ersatz für einfache Teilhabe!


Der Koalitionsvertrag sieht vor, Barrieren im öffentlichen Leben niederzureißen. Dazu sollen Informationen der Ministerien in Einfacher oder Leichter Sprache angeboten werden. Aber nicht nur Informationen, auch Gesetze sollen verständlicher werden. Ein guter Start für alle diejenigen, denen politische Teilhabe am Herzen liegt. Aber nur ein einseitiger. Denn zur Teilhabe gehört nicht nur das Verständnis von politischen Vorgängen, sondern auch die Einmischung.


Sollte die Idee der sprachlichen Barrierefreiheit wirklich eine breite politische Basis finden, dann dürften wichtige Hürden für politische Teilhabe verschwinden. Doch damit ist noch lange nicht alles getan. Denn Teilhabe setzt mehr voraus als nur verständliche Informationen. Es müssen auch Institutionen her, die sich der Interessen derjenigen annehmen, die aus sprachlichen Gründen politisch, das heißt im Aushandeln von Interessen, benachteiligt sind. Machen wir uns nichts vor: Wer sprachlich nicht mithält, hat auch Probleme, für seine eigenen Interessen zu kämpfen. Hier wird Lobby-Arbeit vonnöten sein, das heißt die Übertragung des politischen Willens in die politischen Gremien, in denen nun eben nicht in einfacher Sprache kommuniziert wird. Anders gesagt: In der Politik ist sprachliche Begabung wichtig, um sich Gehör zu verschaffen und durchzusetzen. Dies können diejenigen, die auf einfache Sprache angewiesen sind, nicht eigenständig leisten.

Wer hier etwas ändern will, muss mehr tun, als nur in Einfacher Sprache zu kommunzieren. Er muss für Verständlichkeit in allen Bereichen werben. Die Überlegung dahinter: Solange Einfache Sprache nur für einen geringen Teil der Bevölkerung als zusätzliche Hilfe angeboten wird, solange besteht die Gefahr der Ausgrenzung. Diejenigen, die nur eine geringe Chance haben, Politik und Verwaltungshandeln zu verstehen, gelten dann als die Deppen, mit denen im Idiotenjargon kommuniziert werden muss. Das darf nicht geschehen. Wenn wir aber durch alle Bildungsschichten hindurch lernen, dass das Verstehen politischer Vorgänge 1. grundlegend für eine Demokratie ist und 2. nicht einer Minderheit, sondern einer Mehrheit schwerfällt, dann wird eine verständliche Kommunikatin zur Pflicht für alle politischen und administrativen Institutionen. Welcher Stilistik sie sich dabei bedienen, ob jetzt einer Einfachen, einer Leichten oder einer vorgabenfrei verständlichen Sprache, spielt dabei eine untergeordnete Rolle.

Die Politik in die Pflicht zu nehmen, ist immer leicht, und fällt besonders leicht, wenn man selbst keine Ideen hat. Dann sollen es eben “ “die da oben” richten. Doch einen ersten Schritt können wir “hier unten” bereits selber tun, wenn wir einige nicht ganz unübliche Denkmuster hinterfragen. Wer würde denn nicht von Zeit zu Zeit darauf verweisen, dass irgendein beliebiger Sachverhalte, nicht nur in der Politik, zu kompliziert ist, um ihn einfach mal zu erklären. Wer dies ausspricht, wirbt unbewusst dafür, dass es eine Sphäre des Gehobenen gebe, die nicht für alle zugänglich sei. Sicherlich gibt es in der Politik schwierig zu vermittelnde Vorgänge. Aber Sprache als Vermittler hat nun mal die Aufgabe auch solche Vorgänge verständlich darzustellen. Sprache darf sich niemals mit der Komplexität der Dinge verbünden, sondern sie muss als Vermittlerin einen Weg zwischen der komplizierten Sache und uns finden. Die Entschuldigung, dass etwa zu kompliziert sei, um es angemessen auszudrücken, dürfen wir – jedenfalls nicht in der Politik – gelten lassen.

Eine andere problematische Denkhaltung ist die Wertschätzung des Komplexen und die Abwertung des Einfachen. Was einfach ist, wird schnell als Kinderkram abgetan. Dabei ist es geradezu eine Kunst, der Komplexität sprachlich den Schneid abzukaufen. Ein Beispiel: In kultur- oder naturhistorischen Ausstellungen werden gelegentlich Texttafeln in kinderfreundlicher Sprache angeboten. Besonders gerne werden diese Tafeln von Erwachsenen gelesen, manches Mal mit mühsam verborgener Scham. Doch zeigt dies eigentlich nur, das der Bedarf an Vereinfachung sehr groß ist.

Nur wenn wir dem Einfachen mehr Respekt entgegenbringen, können wir Menschen, die sprachlich über eingeschränkte Möglichkeiten verfügen, politisch einbeziehen. Wir alle haben Bedarf an einfachen Formen der Teilhabe. Dazu gibt es noch einige Überlegungen mehr anzustellen. Mit der Einführung von Einfacher Sprache in der Politik ist deshalb erst einmal nur ein erster Schritt getan. Weitere müssen folgen. Es muss alles, wirklich alles einfacher werden!

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Der Koalitionsvertrag: eine Absichtserklärung in einfacher, aber den Inhalten nicht angemessener Sprache!

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Vereinfachung von “An die Freude”